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Nicht essbare Wurstclipse und nicht essbare Wursthüllen sind Tara-Material, das nicht dem Nettogewicht des Lebensmittels hinzuzurechnen ist

Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 28. März 2023 (Az.: 9 K 2549/19)

Mit Urteil vom 28. März 2023 (Az.: 9 K 2549/19) hat die 9. Kammer des Verwaltungsgerichts Münster entschieden, dass es sich bei den nicht essbaren Wurstclipsen und der nicht essbaren Wursthülle um Tara-Material handele, das nicht dem Nettogewicht des Lebensmittels hinzuzurechnen sei.

Die Auslegung des in der Fertigpackungsverordnung – sowohl alte als auch neue Fassung – genannten Begriffs der Nennfüllmenge richte sich nach der LMIV, deren Anwendungsbereich eröffnet sei, so das Gericht.

Mit Blick auf den von der LMIV verfolgten Zweck, gemeinsame Begriffsbestimmungen, Grundsätze, Anforderungen und Verfahren festzulegen, um einen klaren Rahmen und eine gemeinsame Grundlage für die Maßnahmen der Union und einzelstaatliche Maßnahmen zur Regulierung der Information über Lebensmittel zu schaffen sowie einen Beitrag zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus zu leisten, sei davon auszugehen, dass die LMIV auch eine Regelung zur Begriffsbestimmung der Nettofüllmenge des Lebensmittels treffen haben wollen, um auf diese Weise eine der Harmonisierung des Lebensmittelrechts zuwiderlaufende Umgehung durch nationale Vorschriften zu vermeiden.

Der Auffassung, der Begriff „Nettofüllmenge des Lebensmittels“ in der LMIV sei eine redaktionelle Klarstellung gegenüber der Vorgängerregelung in der Etikettierungsrichtlinie aus dem Jahr 1978, folgt das Gericht ausdrücklich nicht. Vielmehr enthalte die LMIV eine Aktualisierung und schaffe eine neue Regelungsgrundlage zur Erreichung einer einheitlichen Begriffsbestimmung.

Entsprechend handele es sich bei nicht essbaren Wurstclipsen und nicht essbaren Wursthüllen eindeutig um nicht verzehrbare Bestandteile, die keine „Lebensmittel“ im Sinne des Art. 2 Abs. 1 a) LMIV i. V. m. Art. 2 UAbs. 1 Lebensmittelbasisverordnung seien und damit bei der Berechnung der Nettofüllmenge des Lebensmittels austariert werden müssten.

Aufgrund des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts fänden entgegenstehende nationale Vorschriften keine Anwendung. Insbesondere sei die RFP nicht – mehr – anwendbar. Die RFP sei bereits für sich genommen als Verwaltungsvorschrift keine für das Gericht bindende Vorschrift. Zwar könne eine Verwaltungsvorschrift über den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG mittelbare Außenwirkung entfalten. Diese könne jedoch nur soweit gehen, wie sie nicht gegen höherrangiges Recht verstoße. Da vorliegend die – eindeutigen – Vorschriften des LMIV entgegenstünden, sei eine dahingehende anspruchsbegründende Selbstbindung der Verwaltung, dass von Vorschriften des LMIV durch nationale Verwaltungsvorschriften abgewichen wird, von vornherein ausgeschlossen.

Unabhängig davon sei ein etwaiges Vertrauen in eine einheitliche – erst recht in eine rechtswidrige – bundesweite Verwaltungspraxis nicht schutzwürdig. Eine einheitliche Verwaltungspraxis der Eichbehörden sei bereits nicht zu erkennen. Selbst wenn Eichbehörden anderer Bundesländer die RFP weiter anwendeten und dies zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen im Bundesgebiet führe, könne dies nicht zum Erfolg verhelfen. Denn es bestehe kein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht.

Im Übrigen sei es gerechtfertigt zwischen künstlich hinzugefügten und natürlich gewachsenen Bestandteilen eines Lebensmittels zu differenzieren, da bei natürlich gewachsenen Bestandteilen des Lebensmittels wie zum Beispiel Kirschkernen oder Knochen eine Austarierung von vornherein unmöglich sei. Bei einer Austarierung verlören natürlich gewachsene Lebensmittel ihre ursprüngliche Gestalt und könnten als solches nicht mehr verkauft werden.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster ist nicht rechtskräftig.

Die vollständigen Entscheidungsgründen sind hier https://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_muenster/j2023/9_K_2549_19_Urteil_20230328.html abrufbar.

Redaktion: Demila Biscevic

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